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Chronik

Die Normannenüberfälle der Jahre 882 und 892 waren für die geistlichen Institutionen des Rheinlandes im wahrsten Sinne des Wortes verheerend - Menschen wurden erschlagen, Häuser, Ställe und Vorräte verbrannt, Kostbarkeiten wurden verschleppt, Handschriften und Urkunden vernichtet. Besonders ausführlich berichtete Regino von Prüm, Abt des Klosters von 892-899. Unter anderem führte er aus: „Als die Normannen schließlich ihren Marsch mit der größtmöglichen Geschwindigkeit nach dem Kloster Prüm fortsetzten, entwichen der Abt und die Brüderschar durch die Flucht, kurz bevor jene bereits hereinstürmten. Als aber die Normannen das Kloster betraten, verwüsteten sie alles, töteten einige von den Mönchen, erschlugen den größten Teil der Klosterfamilie und führten die übrigen als Gefangene fort.“ Soweit Regino.

Trotz dieser Katastrophen ist es den Prümer Mönchen aber gelungen, neben Handschriften und sonstigen Kostbarkeiten auch ihre Urkundenschätze vor der Vernichtung zu bewahren. Allerdings war ihnen bewusst geworden, dass sie so Gefährdetes sichern und in schriftlicher Form festhalten mussten. Noch unter Reginos Abbatiat unternahmen sie auf zwei Gebieten dazu große Anstrengungen: zum einen sammelten sie noch im Jahre 893 die nötigen Informationen zur Niederschrift des Prümer Urbars, dessen 1100jähriges Bestehen wir in diesem Jahr feiern können und auf das zurückzukommen ist, zum anderen begannen sie, die seit der Gründung 721 in dichter Folge vorhandenen Urkunden in abschriftlicher Form in einem Kopiar festzuhalten. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts wurde die so entstandene Handschrift mit einem kupfervergoldeten Deckel versehen, woher der Name „Goldenes Buch“ (Liber aureus Prumiensis) herrührt. Dieses Goldene Buch enthält die bedeutendste Sammlung karolingischer Urkunden für das Rheinland und weit darüber hinaus.

Zurück zum Prümer Urbar. Wie oben erwähnt, machten sich die Mönche bereits im Jahre 893, also im Jahr nach dem zweiten Normannenüberfall daran, ihren damaligen Besitzstand aufzuzeichnen, um ihre tatsächlich bestehenden Rechte und Einkünfte an den einzelnen Orten auch in schriftlicher Form festzuhalten. Dazu sandten sie mehrere Kommissionen in die Gebiete, in denen ihre Besitzungen lagen – in die niederen Lande um Arnheim und Voorst, rheinaufwärts über Duisburg, die untere Lahngegend bis zur Neckarmündung am Mittelrhein (Altrip, Neckarsau, Rheingönheim, Dienheim), entlang der Maas von der Lütticher Gegend (Awans) bis Révin und schließlich zu den Salzpfannen in und um Vicsur-Seille. Der Schwerpunkt ihrer Besitzungen lag allerdings in der Eifel südlich Prüm bis zur Mosel und im Raum Münstereifel. Lediglich ihre Besitzungen in West- und Nordfrankreich sind bei dieser Inventarisierung nicht berücksichtigt worden. Ingo Schwah hat uns in seiner grundlegenden Edition aus dem Jahre 1983 einleuchtend über die Arbeit der Kommissionen in Kenntnis gesetzt.

Das Prümer Urbar enthält in 118 Kapiteln die Aufzeichnungen der beauftragten Mönche über den zeitigen Besitzstand. Viele Orte, die uns bereits aus der urkundlichen Überlieferung bekannt sind, erscheinen wieder – nicht mehr genannte Orte dürften verlorengegangen sein. Aber nicht nur die altbekannten Orte tauchen wieder auf, sondern – meistens in ihrer unmittelbaren Umgebung – werden bislang unbekannte Namen von Orten erwähnt, die wohl meist im Zuge des Landesausbaus in der Karolingerzeit entstanden sind. Auf diese Weise enthält das Prümer Urbar von 893 mehr als 150 Ortsnamen, in denen erstmals Prümer Besitz begegnet, ja die meisten Orte werden hier überhaupt zum ersten Mal in der schriftlichen Überlieferung genannt.

Der Text von 893 ist heute nicht mehr im Original überliefert, sondern in einer mit ausführlichem Kommentar versehenen Abschrift die im Jahre 1222 durch den Prümer Ex-Abt Caesarius von Milendonk, Mönch zu Heisterbach, gefertigt worden ist. Am Text von 893 und am weit jüngeren Kommentar kann man beispielhaft die Entwicklung der Prümer Besitzungen über mehr als 300 Jahre verfolgen; das Prümer Urbar ist damit eine der wichtigsten Quellen zur Erforschung der mittelalterlichen Grundherrschaft im Linksrheinischen, also in den Gebieten, die einst unter römischer Herrschaft gestanden hatten.

Das Prümer Urbar enthält mehr als 400 Ortsnamen; unter den zum ersten Mal in der schriftlichen Überlieferung erwähnten Namen befindet sich auch Föhren. Um diese Ersterwähnung Föhrens im Urbar verstehen zu können, müssen wir nochmals weit in die Geschichte der Prümer Abtei zurückschauen. In den Jahren 752 und 762 nämlich schenkte der Wiederbegründer der Abtei Karls des Großen, Vater Pippin, den Mönchen zwei bedeutende Orte an der Mosel, die u.a. zur Weinversorgung der Abtei (Meßwein!) beitragen sollten – Mehring und Schweich. Der Besitz dieser. Orte wurde dann in der Folgezeit mehrfach bestätigt, ohne dass sich aus diesen Urkunden Erkenntnisse über die Struktur dieser Besitzungen gewinnen ließe. Erst das Prümer Urbar von 893 gibt uns hierin sichere Einblicke.

Neben Mehring und Schweich werden im Urbar in der näheren Umgebung folgende Orte genannt: Föhren, „Salmen“, Klüsserath, Trittenheim, Schleidweiler, Zemmer, Rivenich, Thörnich, Ensch sowie Lörsch; der Landesausbau zwischen dem beginnenden 7. und dem ausgehenden 8. Jahrhundert hatte offensichtlich bedeutende Fortschritte gemacht. Zu Föhren enthält das Urbar folgende Mitteilungen (selbstverständlich in lateinischer Sprache), hier in der Übersetzung: In Föhren sind zwei Mansen (Bauernhöfe, die eine Familie ernähren konnten), die die gleichen Dienste und Abgaben wie die in Schweich leisten.

Wir müssen also wieder zu Schweich zurückkehren. Dort leistete man: In Schweich sind 15 Mansen, jeder gibt an Wein 10, das macht 150 Maß, die wiederum fünf Wagenladungen ausmachen. Sie geben 15 Ferkel oder 15 Schillinge, 45 Hühner, 225 Eier, 15 Pfund Flachs, 15 Becher Senf, 75 Lohbündel, 750 Fackeln, 1500 Pfähle für die Weinberge, 1500 Schindeln, 75 Müdden (Mengenmaß) Eicheln. An Wein bringen sie siebeneinhalb Wagenladungen nach Prüm, beim Besuch des Abts stellen sie einen Ochsen. Dort sind weiter fünfzehneinhalb Mansen, diese geben 15 Tonnen, sie schneidern fünfzehneinhalb Hemden und liefern 1550 Ruten.

Soweit der Text des Jahres 893 über Schweich, der wie oben bereits gesagt, die gleichen Leistungen der Mansusinhaber wie in Föhren anführt. Bei aller Kürze gibt er tiefe Einblicke in wirtschaftliche und soziale Verhältnisse des frühen Mittelalters. Vor allem wird die grundherrschaftliche Struktur mit ihrem System von Diensten und Abgaben ersichtlich.

Als nach mehr als 300 Jahren im Prüm, im Jahre 1222 Ex-Abt Caesarius nicht nur das „Alte Buch“ von 893 wortgetreu abschreibt, sondern es auch mit einem Kommentar versieht und damit den Ist-Zustand, seiner Zeit wiedergibt, haben sich die Verhältnisse geändert: in der Übersetzung: Es ist darauf hinzuzuweisen, dass Föhren, Hetzerath und „Errinbach“ (nicht identifiziert) von unserer Kirche verlehnt worden sind.

Der Lehnsherr wird nicht genannt, aber es gibt gute Gründe für die Annahme, dass er der gleiche ist, der auch, mit zahlreichen weiteren abteilichen Gütern in der Umgebung (Schweich, Klüsserath, Trittenheim) belehnt ist, nämlich der Graf von Vianden. Caesarius erklärt diese Verlehnungen mit dessen Vogtdienst gegenüber der Abtei, d.h. er muss die Prümer Kirche und die davon abhängigen Leute nach Kräften vor Eindringlingen und aller Gewalt bewahren und muss ihnen „unter seinen Flügeln Schutz und getreue Hilfe gewähren“.

Die Verlehnung kirchlichen Besitzes an einen wahrscheinlich weltlichen Herrn hat im Falle Föhrens nicht unmittelbar dazu geführt, dass der Besitz der Abtei Prüm entfremdet wurde. Ohne dass die weitere Prümer Besitzgeschichte hier detailliert dargestellt werden kann, sei auf einige Punkte verwiesen: Noch im 15. Jahrhundert lassen sich in der Prümer Überlieferung Belehnungen mit der Vogtei über Föhren nachweisen; im Laufe dieses Jahrhunderts haben jedoch die Herren von Kesselstatt es vermocht, diese Vogtei zu einer von der Abtei Prüm unabhängigen Herrschaft auszubauen.

Anders war es um die kirchlichen Verhältnisse bestellt: Föhren gehörte jahrhundertelang zur Pfarrei Mehring, das heißt, die Einwohner mussten nach Mehring in die Kirche gehen und den Zehnten ihrer landwirtschaftlichen Erträge an den Besitzer bzw. Patronatsherrn der Kirche von Mehring geben. (Dieser hatte das Recht zur Ernennung des Pfarrers und zum Erhalt von zwei Dritteln des Zehnten.) Die Kirche von Mehring gehörte seit dem achten Jahrhundert der Abtei Prüm, im Jahre 1190 wurde sie zusammen mit der Kirche von Rommersheim zur Dotierung des neugegründeten Nonnenklosters in Niederprüm bestimmt. Fortan musste also der Zehnte aus Föhren nach Niederprüm geliefert werden. Auch als im Jahre 1602 die inzwischen in Föhren entstandene Kapelle durch Erzbischof Lothar von Metternich zur Pfarrkirche erhoben wurde, war Niederprüm beteiligt. Nicht nur ist die Pfarrerhebungsurkunde durch das Archiv von Niederprüm überliefert, sondern dem Kloster verblieb auch weiterhin das Recht der Ernennung des Pfarrers und der Bezug des Zehnten: Zwar musste die Abtissin ihr Ernennungsrecht im Jahre 1715 an die Herren von Kesselstatt abtreten, das Zehntrecht jedoch blieb dem Kloster bis zum Ende des Alten Reiches erhalten. So lassen sich also von der Ersterwähnung Föhrens im Prümer Urbar vom Jahre 893 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts über 900 Jahre lange enge Beziehungen zwischen Prüm/Niederprüm und Föhren konstatieren, an die es sich auch in unserer schnelllebigen Zeit durchaus zu erinnern lohnt.

Dr. Reiner Nolden, abgedruckt in der Sonderbeilage "1100 Jahre Föhren" des Trierischen Volksfreundes am 12.05.1993